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Hoch oben in den Wudangbergen gibt es viele alte Tempel der Taoisten. Einer der ältesten von ihnen ist der ‚Fünf-Drachen-Tempel‘, der vor über tausend Jahren erbaut wurde. Diesen durften wir an den vergangenen zwei Tagen besuchen und der dabei zustande gekommene Ausflug ist durchaus eine längere Schilderung wert…
Am Donnerstagmittag hatte ich mit einigen Anderen vor, das Mittagessen sausen zu lassen und gleich in Richtung eines nahe gelegenen Badesees zu ziehen. Nachdem jemand am Vortag in der Stadt auf einer Anzeige gelesen hatte, dass wir uns hier tatsächlich mit 44 Grad im Schatten arrangieren, dachte ich, diese Abkühlung sei mal wirklich verdient. Gerade als wir loswollten, lief jedoch Ivy aus dem Büro herum und forderte alle auf, ‚jetzt dann‘ in den Flur im ersten Stock zu kommen, da es ein Treffen mit dem Meister gebe. Nicht ganz, was ich jetzt wollte. Mit chinesischer Höflichkeit formuliert: ich habe einen Onkel, der hat auch eine Kungfu-Schule und er kündigt seine Versammlungen immer einen Tag vorher an, damit sich jeder darauf einstellen kann… 


Etwa 25 Leute schwitzten also im Flur dahin, als gemeinsam gewartet wurde, ob nicht doch noch jemand von denen, die schon früher irgendwohin losgezogen waren als mein Badetrupp und also von dem Treffen nichts wussten, auftauchen würde. Das war dann nicht der Fall und so ergriff der Meister die Gelegenheit beim Schopfe, den Anwesenden zu erklären, dass solche Treffen zukünftig öfter stattfinden würden, wenn es etwas zu besprechen gebe und dass wir unbedingt pünktlich zu erscheinen hätten und wenn jemand nicht kommen könne, müsse er das im Büro bekanntmachen. Scheint mir etwas schwierig umsetzbar, wenn man bis 2 Minuten vorher davon nichts weiß :-).
Nach dieser Erklärung durften wir einer dem Museum ähnlichen Ausführung chinesischer Selbstdarstellungskultur beiwohnen, als der Shifu (mit Ping Ping als Übersetzerin ins Englische) bekanntgab, dass seine Schule nunmehr die Nummer eins innerhalb des taoistischen Kungfu sei, dass er sie in der kürzesten Zeit mit dem größten Erfolg aufgebaut habe und dass das Geschäft mit den Ausländern in diesem Sommer vielversprechend begonnen habe. Er sei dadurch auch die ‚economical number one‘ hier und sogar der Bürgermeister habe die Schule schon besucht. Alles das sei aber nur der Anfang und sein Traum sei noch viel größer: in der Zukunft wolle er eine noch bessere, noch größere, noch schönere, noch formalere Schule bauen, in der dann alle wie Brüder und Schwestern ihren Kungfu-Zielen entgegenarbeiten können. Und auf das alles sei er sehr, sehr stolz (was im Text eigentlich an jede der anderen Nennungen angehängt gehört). 
Das ist wirklich interessant und ich bedauere sehr, das nicht in chinesisch verstehen zu können. Denn einerseits wirkt dies auf mich natürlich (mit europäischem Kulturhintergrund) wie eine ausführliche Selbstbeweihräucherung. Andererseits finde ich das auch sehr authentisch, sich ganz problemlos hinzustellen und seine Schüler zu versammeln, um allen zu sagen: das habe ich alles gemacht und darauf bin ich sehr stolz. Allerdings musste auch Lisa beim Übersetzen sehr grinsen und des öfteren ist ihr der Nachsatz „…oh, yes, and again, he is very proud of that“ fast zu spät eingefallen.


Schließlich kündigte Shifu Chen an, dass er vorhat, die Studenten auf einen Ausflug in die Berge mitzunehmen, zum ‚Fünf-Drachen-Tempel‘, der normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sei, wo wir aber ganz normal unser Training haben könnten, dann eine Nacht bei den ‚local village people‘ bleiben könnten und uns am nächsten Tag wieder auf den Weg zurück machen würden. Das klang verlockend und so haben sich alle Anwesenden sofort gemeldet, als das Interesse abgefragt wurde. Der Meister kündigte an, er werde das Wetter im Auge behalten und uns wissen lassen, wann eine gute Zeit für den Ausflug sei.
Diese kam dann just am Samstag/Sonntag und so ließ Shifu schon am Freitag, diesmal mit einer großzügigen Vorankündigung von ca. 20 Minuten, wieder eine Versammlung einberufen. Die Spanier waren längst zu ihrem beinahe täglichen Mittagsausflug zu einem chinesischen Schnellrestaurant in der Stadt unterwegs. Erneut wurde also damit eingeleitet, dass wir zu solchen Treffen zu erscheinen hätten, bevor wir dann erfahren haben, dass es am nächsten Morgen um 8 Uhr unten vorm Haus losginge. ‚Morning Exercise‘ wäre natürlich dennoch, danach sollten wir uns dann pünktlich beim Bus einfinden, der uns in die Berge hochbrächte. Dann ginge es noch ca. 4 km zu Fuß weiter bis zum Drachentempel, dort würden wir dann von den Einwohnern verpflegt. Oben sei es merklich kühler, wir hätten ganz normal unser Training, würden dort übernachten, bekämen am Sonntag dann etwas ‚free time‘ und würden am Nachmittag wieder zurückkommen. So die Anweisungen.
Diese wurden, wie man sich vielleicht vorstellen kann, sehr unterschiedlich interpretiert. Das reichte von einigen Leuten, die ihre Zahnbürste in der Hosentasche hatten über solche, die zumindest eine Plastiktüte mit ein wenig Zeugs dabei hatten bis hin zu z.B. mir, die einen kleinen Rucksack gepackt hatte, u.a. mit einer großen Flasche Wasser, einem kleinen Handtuch für das Kopfkissen (zu dem ich mich nachher beglückwünscht habe) und ein paar feuchten Tüchern als Dusch-Substitut. Als wir dann später bei den erwähnten Temperaturen (die oben gar nicht mehr kühl waren) und in der Knallesonne den Bergpfad angestiegen sind, stellte sich schnell heraus, dass es wesentlich sinnvoller war, eine Wasserflasche statt eines Pullovers dabei zu haben.…

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