Der Sonntagvormittag drohte extrem langweilig zu werden. Es gab dort nichts, sämtliche Spiele ohne Material, die aus China, Spanien, Kambodscha oder Deutschland irgendwem bekannt waren, hatten wir am Vorabend schon durchgenommen und nun saßen wir da. Eigentlich war ich auch total k.o. und hatte Respekt vor dem Rückweg, aber mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten und weil ich eben einfach unter Tags kaum je schlafen kann, beschloss ich, zu trainieren. Enneka aus Kambodscha schloss sich mir an und so sind wir runter in die Tempelruinen gepilgert. Das war dann ganz schön – zwar auch sehr anstrengend, jedoch auf eine andere Weise, die die vom Vortag strapazierten Muskeln eher durchknetete und wieder weich machte. Auf diese Weise habe ich also die zwei Stunden wunderbar füllen können und war mit der Situation ganz versöhnt.
Dann gab es noch ein ungenießbares Mittagessen, was wiederum sehr schade war, weil die Speisen, wären sie ohne Benzin gewesen, sicher geschmeckt hätten. Ich habe mich auf die Dinge beschränkt, die ihre Flüssigkeit selbst in sich haben und nicht durchs Kochen aufnehmen: Kartoffeln und Paprika. Da ging es einigermaßen. Nach dem Mittagessen habe ich mich nochmal mit zwei Teeflaschen eingedeckt und dann ging es los mit dem Abstieg. In allen Gesichtern war Erleichterung zu lesen. Es ist schon wirklich nicht ganz ohne, einen Draußenhahn für 30 Leute zu haben, aus dem man aber nicht trinken kann und an dem sich auch nur diejenigen waschen können, deren Haut seit dreißig Jahren mit Benzin gegerbt wurde; außerdem ein Plumpsklo das ich nicht weiter beschreibe, Mücken ohne Ende, die man schlichtweg hinnehmen muss weil das Zimmer eh nur ein Fenster mit Holzstäben und kein Glas hatte, ungenießbares Essen und das alles in einer Situation großer körperlicher Anstrengung, also auch mit ständig nassgeschwitzten Klamotten. Was gut war, waren die Stühlchen: die Chinesen haben so kleine, aus ein paar Streben recht geschickt zusammengezimmerte, platzsparende und dabei sehr bequeme Hocker mit Rückenlehne. Die sind wirklich prima.
Der Rückweg war mit dem Hinweg nicht im Ansatz zu vergleichen, denn diesmal hatten wir Nebel. So war die Wanderung wirklich schön, ich hatte die Muse, die Wudang-Berglandschaft zu genießen und meine von der Basisform weichgekneteten Muskeln haben es auch gut mitgemacht.
Einige Leute waren allerdings ziemlich platt und die hatten es dann recht schwer, als sich unser Meister nebst seinen zwei Coaches Ming und Won verlaufen hat. Der Pfad kam auch mir immer komischer vor – an Wegpfade kann ich mich immer ganz gut erinnern. Allerdings traute ich unter den Bedingungen des Aufstiegs meinen Eindrücken nicht so ganz. Schließlich wurde es aber wahr, wir waren irgendwo ganz woanders. Also Kommando Kehrtwende, ein Stück Wegs zurück. Schließlich schickte der Meister die beiden Brüder eine Böschung hinauf, welche die wie zwei Gemsen im Laufschritt hinaufsprangen und oben auf dem Kamm nach ein wenig hin und her auch unsere Richtung ausfindig machen konnten. Wir mussten also alle die Böschung hinauf, was für einige der älteren chinesischen Damen, die wie meist auch zu diesem Ausflug Sandalen mit Absätzen an den Füßen hatten, doch recht beschwerlich war. Die wurden dann aber von Ming und Won am Speer und der Hellebarde hinaufgeführt, praktisch wie am kurzen Seil beim Bergsteigen. Auch ein hübsches Bild.
Irgendwann hatten wir das Ende der Straße erreicht, der Bus wartete auch schon auf uns. Wie er hinaufgekommen ist, habe ich bis jetzt nicht herausfinden können, denn hinunter kam er leider nicht mehr. Abermals hingen wir nach ein paar Serpentinen hinter dem Bautrupp, der noch dazu gerade/noch immer Mittagspause machte. Die vage Zeitangabe, wann die Teerraupe (die die ganze Straßenbreite einnahm), soweit fertig sei, dass wir passieren könnten, wurde mit mindestens einer Stunde betitelt. Das wurde einigen von uns zu blöd zum warten und wir sind kurzerhand die Bergstraße entlang Richtung Tal gelaufen. Der Bus sollte uns dann wieder einsammeln, wenn er an uns vorbeikäme. Das war dann nach knapp zwei Stunden der Fall und wir waren bereits kurz vor dem Talausgang der Schlucht. Diese Wanderung war zwar nach allen Strapazen der beiden Vortage hart, das Gelaufe in den dünnen Kungfuschuhen auf dem Teer machte die Fußsohlen brennen und die Schwüle wurde auch immer dichter, aber es war besser als oben im Teerdampf zu warten, während mein ganzer Sinn sich nur nach Wasser, einer Dusche und Essen sehnte.
Als der Bus dann durch Wudangshan fuhr, beschlossen die Spanier und ich kurzerhand, die Dusche auf später zu verschieben und erstmal was zu essen zu organisieren. Wir sind also in der Stadt abgesprungen und in ein chinesisches Mc Donalds Korrelat gegangen, um den ersten Hunger zu stillen. Dann war es halb sieben, also noch eine halbe Stunde bis die Straßenrestaurants öffnen würden, worauf wir eigentlich warteten. Ich habe die Zeit gefüllt, indem ich in einen Laden zur Fußmassage gegangen bin (sogar mein verdrecktes Äußeres war mir jetzt egal). Die Massage war zwar nicht besonders gut, aber dennoch in diesem Moment ganz himmlisch und danach bin ich wieder zurück zu den Anderen, die bereits einen Tisch voller Essenskram vor sich hatten. Da haben wir den Tag dann noch ganz gemütlich ausklingen lassen und so war das dann ein gelungener Abschluss.
Wäre das Wasserproblem nicht gewesen, hätte mir die ganze Sache gut gefallen. Aber vielleicht ergreife ich zum Ende meines Aufenthaltes hier mal die Gelegenheit, unserem Meister Chen mitzuteilen, dass doch die Mehrheit der Menschen über die Bedingungen eines solchen Ausflugs gerne vorher informiert werden würde. Schätzungsweise die Hälfte bis zwei Drittel der Leute waren genervt bis verärgert (und von denen, die nicht mitgekommen waren, erfuhren wir im Nachhinein, dass sie aus dem Internet von früheren Schülern an der Academy über die ‚Fünf Drachen‘ Bescheid wussten. Tja, Master Chens Informationspolitik zieht Kreise…).
Aber meist ist es doch so, dass gerade solche Erlebnisse im Nachhinein einen Urlaub gelungen machen. Zumindest schmeckt das Essen jetzt wieder besser und hat sogar die Dusche, die einfach kalt und nie frei ist und außerdem dem chinesischen Widerwillen, Badräume zu reinigen entsprechend aussieht, einen großen Luxuswert zurückgewonnen.