Unser Bus sah aus, als würden da eigentlich nur die Hälfte der Leute reinpassen, die alle hätten reinpassen sollen. Erstaunlicherweise haben aber doch alle reingepasst, zumindest, wenn man sämtliche Sicherheitsregeln umgeht und so das Wort ‚passen‘ etwas freier auslegt. Hier gibt es in den Fahrzeugen immer so kleine Hocker, die werden dann überall hingestopft, wo zumindest drei ihrer vier Füßchen Halt finden und darauf kann man dann ja ganz bequem eine Fahrt auf einer steilen, sich windenden Bergstraße in subtropischer Hitze unternehmen.
Der überladene Bus quälte sich also die Bergstraße hinauf und gerade begann ich (auf einem solchen Hocker), Po und Beine nicht mehr zu spüren, da ergab sich ein interessanter Halt: Vor uns auf der Straße befand sich ein Bautrupp, der den Straßenbelag erneuerte. Das war in vielerlei Hinsicht erstaunlich: ganz persönlich fand ich zuerst einmal erstaunlich, wie jemand überhaupt in dieser Hitze Teerarbeiten verkraften kann (in den Fabriken, die keine Klimaanlagen hatten, hatten die Arbeiter hitzebedingt in den letzten Tagen frei). Dann war erstaunlich, wie viele Leute man dafür einsetzten kann, einen Teerlaster, eine Teerraupe und eine Planierraupe zu bedienen. Mindestens 20 plus den obligatorischen Vorarbeiter, welcher auch hier heutzutage Manager heißt. Der tut übrigens nichts, hat generell gesehen meist einen Strohhut oder ein Armeekäppi auf, raucht und beobachtet. Dann war noch erstaunlich, dass die Straße gar nicht kaputt war.
Aber versperrt war sie nun auf jeden Fall. Komplett. Der Teerzug bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von vielleicht einem Meter pro Minute vorwärts und da es, wie sich das für eine Bergstraße gehört, links steil hinauf und rechts steil hinab ging, sah ich unseren Besuch bei den fünf Drachen schon dahinschwinden.
Hier allerdings habe ich vorschnell die chinesische Bereitschaft, eine ganz pragmatische Lösung zu finden, unterschätzt. Diese entbehrt eigentlich jeglicher Worte und da lasse ich auch mal hauptsächlich die Bilder sprechen.
An einer Stelle in der Nähe des Teerzuges, an welcher dieser absehbarerweise in den nächsten 20 Minuten vorbeikommen würde, ging der Abgrund rechterhand erst nach etwa 2,20 Metern los. Davor war noch ein Stück Böschung übrig, holprig, uneben, bewachsen, mit felsigen Steinen. Da unser Bus nur vielleicht 1,80 Meter breit war, wurde die Idee von Bruder Ming, ihn doch hier zwischenzuparken und den Teertrupp vorbeiziehen zu lassen (welche ich erst für einen Witz hielt) zum Lösungsweg erklärt. Ich möchte nicht wissen, was in dem Busfahrer vor sich ging bzw. wie er überhaupt dazu kam, sich darauf einzulassen. Vielleicht beeindruckten ihn all die Kungfu-Lehrer und Schüler in ihren Martial Arts Outfits und er wollte genauso wagemutig sein (wie wahrscheinlich keiner von uns hier wirklich gewesen wäre). Jedenfalls hat er es gemacht: nachdem alle ausgestiegen, ein paar Pflanzen geköpft und große Steine zur Seite getragen waren, schaukelte der Bus sich in Millimeterarbeit auf diese ‚Ausweichstelle‘ hinaus. Dabei musste er immer wieder vor und zurück, Schwung holen um eine Bodenwelle zu überfahren und er kippte manchmal bedenklich schräg zur Seite. Nach einer gefühlten Ewigkeit und einigen Schweißperlen im Nacken war eine Parkposition erreicht und ich war einfach nur froh. Ich hab den Bus samt Fahrer wirklich schon da runter kullern sehen. Der Teerzug kam dann tatsächlich vorbei, was eine Angelegenheit von ca. 2 Zentimetern war. Nun war der Bautrupp an uns vorüber und gerade als ich mich fragte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis der Bus den heißen Teer befahren können würde, wurde beschlossen, dass dies jetzt der Fall sei (10 Minuten?) und wir haben unsere Fahrt fortgesetzt. Nach einigen weiteren Kurven war die Straße schließlich aus und der Bus spuckte seinen vielköpfigen Ballast aus. Wir standen auf einem steinigen Pfad mitten in der Sonne und es war mitnichten kühler als unten. Mitnichten.
Ich muss das betonen, weil ich bei diesem Wetter niemals, niemals, niemals eine Bergwanderung unternehmen würde. Ich habe ein Stoßgebet zum Himmel geschickt mit einem Dankeschön für die Eingebung, mein Käppi mitzunehmen und dann beschlossen, möglichst nicht zu reden, in möglichst kleinen Schlucken zu trinken, möglichst nicht zu denken und möglichst einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis wir eben da seien. Dieser Vorsatz brachte mich über die nächsten zwei Stunden. Bei jedem Schritt tropfte das Wasser von Kinn, Wangen, Nase, Augenbrauen, Armen und alle Kleidung war triefnass. Auch für die ans Klima gewöhnten Chinesen war es eine Tortur, aber für mich war das gesundheitsgefährdend, für die Basken irgendwas dazwischen. Nur die Hälfte der Leute hatte überhaupt Wasser dabei und dies war bald aufgebraucht. An allen möglichen Stellen, bevorzugt natürlich in der Sonne, mussten wir stehen bleiben, damit der Shifu Fotos für seine Website schießen konnte. Wenigstens war er auch nassgeschwitzt… Dass es vom Aufstieg selbst kaum Fotos gibt, brauche ich wohl nicht extra zu erklären.